Text: Wenn ich manisch bin (Vor und nach der Klinik) Teil 1

„Gefangener Körper- Freie Seele“ oder „Innen Sein- Außen Leben“

Vorgeschichte: Oktober 2007

„Die Buchexpertin war unterwegs. Ich war die Buchexpertin. Ich wurde geschätzt und geliebt für meine Expertenmeinung zum Sortiment, zur Schaufenstergestaltung, Dekoration. An diesem Tag, Freitag, dem 26. Oktober wurde mein Besuch in der Hübner´schen Buchhandlung in Essen erwartet.
Im schicken Nadelstreifenanzug ging ich dorthin, ich hatte nur eine kleine Handtasche dabei.

Bis zu dem Termin war noch mehr als eine Stunde Zeit. Also besah ich mir den Laden. Zuerst ging es zu den Kalendern. Ich packte mehrere großformatige Gartenkalender aus und breitete sie auf einem Tisch aus. Ich rief einen vorbeigehenden Mann zu mir und befragte ihn, welchen er am ehesten kaufen würde und ob das nicht „wunderschöne Gärten“ seien. Er überlegte und antwortete: „Den da!“
Ich bedankte mich und ging weiter zur nächsten Abteilung. Die Kalender auf dem Tisch waren meine erste „Präsentation“ (meines Sinnes für das Schöne) an diesem Tag.

Ich ging weiter zu den Biografien. Ich legte Mantel und Tasche auf einen Hocker, um mich mit beiden Händen den großen Bänden widmen zu können. Ich packte einige Bücher aus den sinnlosen, einengenden Plastikfolien aus und stellte sie wieder so auf, dass man auf sie aufmerksam würde.

Wie ich so emsig arbeitete, kam eine ältere Dame auf mich zu und fragte nach einem bestimmten Titel. „Ich bin leider neu hier“, antwortete ich und verwies sie an die Kollegin am Infotisch.

Heissa, Ich war begehrt. Ich wurde geschätzt und geliebt.

Danach setzte ich mich in den großen Sitzkreis. Neben den Bänken lagen Flyer mit einem Gewinnspiel. Ich wendete mich an „alle“ (Menschen, die dort saßen) und fragte, ob sie da nicht mitmachen wollten. Ich bekam keine Antwort und warf ich die Karten kurzenstschlossen alle in die Mitte des Sitzkreises. Die Menschen sahen mich nur staunend an. Kurz darauf merkte ich, dass ein Mann etwas näher an mich ran rutschte. Ich wusste sofort, dass es intuitiv geschah. Ich fragte ihn, was er beruflich mache. Zuerst wollte er nicht antworten, dann gab er zu Englischdozent zu sein. „Aha“, antwortete ich mit Expertenmiene. Und ich habe Englisch studiert“. Wieder hatte ich einen Treffer gelandet.

Danach ging es in die Kinderbuchabteilung. Ich setzte mich in die Minisitzgruppe, in deren Mitte ein Behältnis voller „Tiksi“-Bücher stand und legte sie händeweise auf den Tisch. Die anwesenden Kinder starrten mich seltsam atemlos an.

Plötzlich hörte ich vor dem Sitzkreis eine „Kollegin“ schimpfen: „Das gibt’s doch nicht. Überall liegen ausgepackte Bücherstapel. Und ich darf alles aufräumen. Wer macht denn sowas?“

Schwupps wurde aus der „Buchexpertin“ wieder die Bummelstudentin, die sich einfach nur mal einen lustigen Tag in der Stadt machen wollte und ich verließ unauffällig die Buchhandlung.
Hätte man mich erwischt, hätte ich vielleicht Hausverbot bekommen. Das wäre sehr schlecht gewesen, denn entgegen dem oben stehenden Bericht kannte ich die Buchhandlung sehr wohl. Sie war meine absolute Lieblingsbuchhandlung, manchmal nenne ich sie im Scherz auch „Arbeits,- bzw. Wohn,- zimmer“.

Am nächsten Tag lief ich ohne Schuhe und Strümpfe durch den kühlen Herbstmorgen. Meine ehemalige Kinderfrau brachte mich dann zu sich in Obhut und wenige Stunden später fuhr ich mit Blaulicht in die Klinik, das „Lied des Volkes“ auf den Lippen.




Fünf Jahre später: Erlebnisse während des dritten Klinikaufenthaltes

Es war wiede so weit. Zum dritten Mal war ich in dem Haus ohne Schlüssel. Jedenfalls besaß ich keine Schlüssel. Ebenso wenig wie Personalausweis, EC-Karte oder Studentenausweis. Wie immer war ich ein lauter, widerwilliger Gast. Ich hatte die Einladung eigentlich nicht angenommen, vielmehr abgelehnt.

Die „Wärter“ der Irrenanstalt, wie ich die Menschen in Weiß mit der Schlüsselgewalt nannte, mochten mich genau so wenig wie ich sie.

Wenn ich Besuch bekam (nach meinem Gefühl viel zu selten), bettelte ich um Geld für Süßigkeiten und Kleingeld für das Münztelefon. Meine Telefongespräche am Münzetelefon brachten keine wirklichen Ergebnisse. Meistens erreichte ich nur Anrufbeantworter (weil meine Verwandten arbeiteten oder im Urlaub waren). Immerhin erreichte ich meine Oma zweimal. Wahrscheinlich spendete sie mir Trost. Genau sagen kann ich das allerdings nicht mehr.

In der Klapse gibt es nicht viel Farbe. Deswegen wächst der Drang nach Musik, Zucker und schönen Dingen nach ganz kurzer Zeit ins Unermessliche.

Leider war mein „Musikspieler“ mal wieder verschwunden. Ich glaube, das war inzwischen der dritte. Sie wundern sich über die deutsche Bezeichnung ? Das ist bei mir ein Phänomen meiner Manie: wenn ich „krank“ bin, verleugne ich alle fremden Sprachen, aus dem „mp3-Player“ wird „Musikspieler“ aus „Salmon“ wird „Lachs“, im besonderen Fachbegriffe, mit denen die Ärzte mich bewerfen, bringen mich zur Weißglut. Natürlich verstehen die Weißkittel das nicht. Sie haben schließlich lange studiert, um so sprechen zu können, dass niemand sie versteht.



Zu stark sind die Medikamente auf der „Geschlossenen“. Wer weiß, vielleicht lässt mich mein Körper auch die schlimmsten Dinge vergessen, um mich zu schützen. Jedesmal wenn ich aus der Klinik kam, war es, als wäre mein ganzes Sysem gelöscht und neu aufgespielt worden, ohne eigene Dateien (zumindest was die letzten Wochen anging).

So ist das, wenn man „zu seiner eigenen Sicherheit“ von den „Normalen“ getrennt wird.

Ich bemerke die Rückkehr der Manie unter anderem daran, dass ich Sachen verstecke. Meine Wohnung ist voller Dinge, voller als andere Wohnungen. Ich sammele Figuren, Stifte, Bücher, CDs. Ich bin mit dem gesamten Inhalt meines Kinderzimmers in das neue Haus meiner Eltern gezogen und dann, nach zwei Jahren, in meine Zweizimmerwohnung. Ich kann nicht sehr gut loslassen.

Normalerweise.

Wenn ich „drüber“ bin, nehme ich Lieblings-CDs- und-bücher mit mir und verteile sie mit vollen Händen. Nach einigen Wochen, wenn ich wieder ausgeglichener bin, suche ich diese Dinge dann und weiß nichts mehr von meiner „Großzügigkeit“. Meist wollen die Leute meine Gaben auch gar nicht. Ich drücke sie ihnen einfach in die Hand und laufe weg.

So war es bis jetzt. Denn nach diesem dritten Klinikaufenthalt habe ich mir alle wichtigen Sachen aufgeschrieben. Ich habe mich selbst davor gewarnt, Grenzen zu überschreiten. Ich habe mir auch eine Liste von Sachen geschrieben, die ich beim letzten Mal bitter vermisst habe. Ich habe mir den Tipp gegeben, zu kooperieren, aber auf der Liste an Sachen zu bestehen. Interessanterweise habe ich auch bei dem letzten Klinikaufenthalt die Zeit auf der offenen Station fast ohne Besuch herumgebracht. Ich habe mich mit den anderen „Insassen“ beschäftigt. Ich habe einige Ausflüge in die Stadt gemacht, habe Kleidung für die anstehende Buchmesse gekauft und bin bei der Entlassung ganz alleine nach Hause gefahren. Nur einmal habe ich einige schöne Stunden mit meinem Bruder verbracht, wir waren Sandwiches essen, haben für mich wichtige Sachen aus meiner Wohnung geholt und uns unterhalten.

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