Text: Wenn ich manisch bin (Vor und nach der Klinik) Teil II
Zurück zum „Verstecken“, einer
Angewohnheit, die ich in der Manie als eine Art „Selbstschutz“
entwickelt habe. Wenn die Manie bereits im Zug zu mir sitzt, lege ich
sehr wichtige Dinge an einen anderen als den gewöhnlichen Platz.
Denn in der Manie habe ich eine Art „temporäre Demenz“. Für
einige Wochen ist mein Kurzzeitgedächtnis außer Betrieb. Egal wie
leicht das Versteck sein mag, ich finde den Gegenstand nicht. Und
erst wenn ich nach Monaten das Versteck „aufspüre“, bin ich sehr
erleichtert, weil ich die Dinge „wieder habe“ und keinem Fremden
aufgedrängt habe.
Lieber nutze ich meine „Welle der
Großzügigkeit“ heutzutage, um Kleinigkeiten für meine Lieben zu
kaufen, die ich mir leisten kann und die sie in letzter Zeit mal
erwähnt haben. Dafür behalte ich die Dinge, die mir ans Herz
gewachsen sind.
Zurück zur Klinik:
Die Wärter ignorierten mich großteils.
Zu den anderen „Mithäftlingen“ aber baute ich eine Beziehung
auf. Uns verband, dass wir die Zeit hier irgendwie absitzen mussten
und uns die Einsamkeit plagte. Weniger dramatisch kann ich es nicht
ausdrücken. Ich bekam oft Bilder geschenkt, die die anderen für
mich malten, sie waren mit kryptischen Botschafen unterschrieben, die
ich in der Klinik sofort entschlüsseln konnte. Wir tauschten
„Schwarzmarktware“ (d.h. Süßigkeiten oder Cola) miteinander.
Nachts, wenn die Krankheit uns wach hielt, aber die Küche
verschlossen war und der Saft auf de kleinen Wägelchen längst
getrunken war, unterhielten wir uns im Raucherraum. Wir waren
hungrig, denn die Manie (bei mir, andere hatten anderes) kennt keine
festen Zeiten zum Essen und Trinken.
Natürlich hatten wir alle Tabletten
bekommen. Das wird ziemlich streng überwacht (zum Beispiel durch
Vorzeigen der Zunge). Aber psychische Krankheiten wüten wie ein
Biest im Menschen und dagegen ist (bis zu einer bestimmten Dosis)
kein Mittel gewachsen. Beim letzten Mal hatte ich in eta die
zweieinhalbfache Dosis: dann ist alles nur noch Nebel. Ausflüge nach
draußen sind nur mit einem Zuckerzuführer zu überstehen (es ist
wohl so ähnlich wie betrunken zu sein). Klar, für die „Wärter
und andere Weißkittel“ ist man ein angenehmer Patient. Innerhalb
der Klinik schläft man nur, kommt wie ein Zombie zu den Mahlzeiten
und hat an nichts Interesse.
Neben dem Hunger war die Schmacht nach
Zigaretten ein großes Thema. Ich bin pathologische Nichtraucherin,
alle die versuchten mich zum Glimmstengel zu bringen, mussten bisher
scheitern. Meine Sucht sind „Geschichten in allen Formen, d.h.
Bücher, Comics, Hörspiele, Musicals, auch Bilderbücher.
Leider kann ich mich auf Bücher in der
Manie nicht konzentrieren. Es sind einfach zu viele Gedanken in
meinem Kopf (zum Beispiel, wie ich mit Leseprojekten für Kinder die
Welt etwas schöner machen würde).
In der Manie sind Comics oder
Bilderbücher am besten für mich als Beschäftigung. Leider hatte
ich kein Comicbuch dabei. Und so machte ich ein Experiment. Ich ließ
mir die erste Zigarette meines dreißigjährigen Lebens geben.
Sofort hörte ich von meiner
Zimmernachbarin, mit der ich mich angefreundet hatte: „Lass es
Judith, das passt nicht zu dir.“ So hatte ich das Offensichtliche
bewiesen. Ich dachte, nun würde ich meine Ausgangserlaubnis (um
Comics zu besorgen) bekommen. Da hatte ich mich geirrt.
War es Zufall oder nicht... in den
letzten Tagen meiner Zeit in der „Geschlossenen“ bekam der
Raucherraum einen neuen Anstrich und einen eigenen Fernseher. Denn
der bisher einzige Patientenfernseher stand im Ergotherapieraum, den
niemand außer mir aufsuchte, wenn nicht gerade gemalt oder gebastelt
wurde.
Aber zur Ehrenrettung der Klinik muss
ich sagen, nicht nur der Fernseher war eine Verbesserung. Heute ist
die ganze Abteilung umgezogen. Es gibt eine Möglichkeit, Frischluft
zu tanken und mir wurde berichtet, dass es jetzt nicht nur zwei
Duschen für alle gibt, sondern dass die Zimmer mit Duschen
ausgestattet sind.
Während meines letzten Aufenthaltes
wurden alle Wände neu gestrichen, wie ich zuvor schon angedeutet
habe. Ich saß oft bei dem Maler und erzählte ihm alles Mögliche,
wähhrend ich auf meine Eltern wartete. Der Maler war taubstumm.
Trotzdem schien er mich viel besser zu verstehen, als alle
„Weißkeittel“ zusammen. Wenn ich zum Beispiel tobte, weil ich
mal wieder ignoriert wurde, ging ich zu ihm und er bedeutete mir
durch Gesten, dass ich ruhiger werden müsse, weil ich sonst niemals
in die Freiheit, beziehungsweise die „offene Station“ entlassen
werden würde. Ich glaube, er hat mir auf seine Art immer sehr gut
zugehört.
Ein anderer, der mich zu beruhigen
wusste, war der evangelische Pfarrer, der die Station regelmäßig
besuchte. Er brachte eine Gitarre mit und ließ sie sogar, entgegen
seiner Gewohnheit ein paar Tage im Ergotherapieraum liegen. Er musste
gewusst haben, welcher Trost mir die Musik war in meiner äußerlichen
und innerlichen Gefangenschaft. Eines Tages, als ich mich heftig mit
den „Wärtern“ in die Haare gekriegt hatte (sie hatten versucht,
ein tobendes Mädchen durch Überreden und Medis zur Ruhe zu bringen.
In meiner Manie dachte ich, ich könnte sie einfach fragen, was sie
hat und zuhören und dass sie dann zur Ruhe kommen würde. Daraufhin
wurde ich mit Gewalt aus dem Raum gedrängt und wütend gefragt:
„Werden SIE JE aufhören? Daraufhin reckte ich mich stolz zu meiner
ganzen Größe von 1,60m empor und antwortete voller Stolz:
„NIEMALS!“).
Der Pfarrer jedenfalls beruhigte mich,
indem er eine halbe Stunde Musik von Simon & Garfunkel, den
Beatles, den Doors und anderen Musikgrößen spielte.
Es fällt mir schwer, diese Zeilen zu
schreiben. Denn ich habe mich damals so alleine gefühlt wie nie in
meinem Leben. Ich merkte, dass ich keine Freunde hatte. Meine Eltern
konnten mich nicht so oft besuchen, wie ich es gebraucht hätte, weil
sie die Doppelbelastung meiner Krankheit und des Berufes hatten.
Meine Verwandten hatte ich in der Manie verschreckt.
Ein ganzer Tag ohne Besuch fühlt sich
in der „Klapse“ an wie sich ein Jahr in einem unglücklich
gewählten Beruf anfühlen muss. Es zehrt an einem.
Es fühlte sich an, als wäre nicht nur
mein Körper gefangen, sondern auch mein Herz.
Wenn ich an diese grässliche Zeit
zurück denke, verdunkelt sich alles in mir. Ich versuche, zumindest
in den nächsten zehn Jahren nicht mehr dorthin zu kommen. Ich wage
nicht, noch weiter in die Zukunft zu planen.
Ich bezeichne die Anstalt oft als
„Seelenknast“. Als ich einem Fachmann gegenüber diesen Begriff
gebrauchte, wurde er sauer. „Das ist etwas ganz anderes. Das können
Sie nicht vergleichen. Da werde ich richtig wütend.“
Aber, frage ich mich, hatte er denn
schon Zeit in einer Klinik verbracht? Sicher, die Dauer ist der große
Unterschied zwischen Klinik-und Gefängnisaufenthalt, aber können
nicht schon wenige Wochen des Leidens einen Menschen für immer
verfolgen?“
Wahrscheinlich würden die, die mich
damals betreuten, alles umdeuten. Allein ich selbst stecke in meinem
Körper und habe diese Zeit in jeder Sekunde erlebt. Denn was diesmal
an der Medikation anders war, war die Dosis. Ich verlor dadurch nicht
mich selbst in einem Meer von Nebel und Schlaf. Ich hielt mich fit
dadurch, dass ich ein „Schlaftagebuch“ führte, damit wollte ich
beweisen, dass ich ein normales Schlafverhalten hatte. Meine zweite
Beschäftigung war, den „Ideefix“ (Ideenbox) mit allen möglichen
Texten zu füllen, auf die ich maximal eine Reaktion bekommen habe.
Das wichtigste aber war, dass ich jeden
Morgen rekapitulierte, welchen Wochentag, Monat und Jahr wir hatten.
Außerdem versuchte ich mir die Namen aller Patienten sehr gut zu
merken, so hatte ich zumindest eine gewisses Kontrolle über meine
Situation.
Und damit möchte ich meinen kleinen
Bericht über die Zeit „hinter Gittern“ (wenn es auch keine
schwedischen Gardinen waren) schließen.
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