Wolfgang Borchert (Dann gibt es nur eins!") "Deutsches Nationaltheater Weimar" (da war ich 2012, sogar im Theater)

 

Wolfgang Borchert
»Dann gibt es nur eins!«

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen -
sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für
Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN! Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst

statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen
neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine
Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du

sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord
segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen
Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben
und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen,

du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht
gehen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal
zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt
es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und
dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und
London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und
Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt,
wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für
Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt,
dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe
stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge
gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und
muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich
fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben -

die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde
verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und
Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen
kraterzerrissenen Straßen -

eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig,
wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und
Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig,
unaufhaltsam - der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen
verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird
auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen
Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -

in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer
werden, verrotten, pilzig verschimmeln -

in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern
werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und
Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf
zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken
wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen
hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden
Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken
werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln — zerbröckeln —
zerbröckeln —

dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge,
antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden
Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern
und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der
letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage:
WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen
wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in
Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres
Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute
nacht schon, vielleicht heute na

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